Epilepsie beim Windhund
Komplex-fokale Epilepsie beim Windhund
1. Unsere Intention
1.1 Allgemeines zu partiellen Epilepsien bei Hunden - was ist das überhaupt?
2. Fletchers langer Weg zur Diagnose
2.1 Auffälligkeiten in der Welpen- und Jugendzeit
2.2 Einschränkungen seiner Lebensqualität im Erwachsenenalter
2.3 Immer wieder Fehldiagnosen
2.4 Komplex-fokale Anfälle - wie sich die Anfälle bei unserem Whippet zeigen
2.5 Neurologische Ausfälle - der Weg zur Diagnosestellung
3. Behandlung
4. Zusammenfassung
1. Unsere Intention:
Wir möchten auf dieser Seite beschreiben wie komplex-fokale Epilepsie beim Windhund aussehen kann. Vielleicht können wir dem ein oder anderen Windhund- bzw. Hundebesitzer einen sehr langen Leidensweg für das Tier ersparen. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass wir keine Tierärzte sind und alle unsere Beschreibung auf objektiver Beobachtung beruhen.
1.1 Allgemeines zu partiellen Epilepsien bei Hunden - was ist das überhaupt?
"Bei der partiellen oder fokalen Epilepsie wird zwischen einfachen, komplexen und Anfällen mit sekundärer Generalisation unterschieden. Die einfachen fokalen Anfälle stellen sich häufig lediglich als unkontrollierte Bewegung einzelner Gliedmaßen oder Muskelgruppen, Kieferschlagen oder Kopfschütteln dar. Im Fall einer rein sensorischen oder vegetativen fokalen Epilepsie sind meist gar keine Anfälle zu bemerken. Komplexe Anfälle stellen sich infolge der hiermit einhergehenden Bewusstseinsstörung als Verhaltensauffälligkeiten dar: neben unmotiviertem Bellen, Schreien, Kauen, Lecken, Aggressivität und Zuckungen bestimmter Körperteile (zum Beispiel Ohren, Gesicht) wird häufig das Symptom des "Fliegenschnappens" oder Drangwandern (zwanghaftes Im-Kreis-Laufen) beobachtet. Eine Abgrenzung zu besonderen individuellen Verhaltensmustern von gesunden Hunden ist häufig schwierig."
Quelle: Partielle Epilepsien bei Hunden, Wikipedia
2. Fletcher's langer Weg zur Diagnose
2.1 Auffälligkeiten in der Welpen- und Jugendzeit
Im Alter von 4 Monaten holten wir Flet bei seiner Züchterin ab. Er war ein schmächtiger, kleiner Quirl mit jeder Menge Flausen im Kopf und einer Energie, die einem Duracell-Hasen Konkurrenz machen konnte. Der erste Anfall kam mit 5 Monaten mitten in der Nacht. Wir bemerkten das er aus dem Bett sprang und regelrecht ruhelos wirkte. Plötzlich blieb er stehen, er reagierte nicht mehr auf Ansprache, sein Blick wirkte leer. Auf einmal schoss er los, rannte wie von der Tarantel gestochen und schrie. Wir waren ratlos, was er hat und gingen am nächsten Tag zum Tierarzt. Aufgrund unserer Beschreibung meinte die Tierärztin, er hätte einfach nur Bauchschmerzen. Das möchten wir an dieser Stelle erst einmal so stehen lassen. Flet's immer wiederkehrende starke Ruhelosigkeit sowie diese "Bauchkrämpfe" blieben. Wir schoben es auf die sehr häufigen - teils heftigen - Durchfälle in seinen ersten 3 Lebensjahren. Er fraß schlecht, nahm kaum an Gewicht zu und wirkte körperlich bis er ca. 4 Jahre alt war deutlich unterentwickelt.
2.2 Einschränkungen seiner Lebensqualität im Erwachsenenalter
Vieles an Flet's teilweise sehr konfus wirkenden Verhalten und seine Unruhe schoben wir auf die Pubertät. Wir merkten trotz allem, Pubertät hin und Pubertät her, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Als Flet ein Jahr alt war, ließen wir ein großes Blutbild machen und ihn auf sämtliche Mittelmeerkrankheiten sowie Borrelios testen. Der Test auf Mittelmeerkrankheiten sowie Borrelien war negativ. Das Blutbild weitestgehend in Ordnung bis auf 5-fach erhöhte Leberwerte. Weiteres dazu, im Kapitel 2.3 Immer wieder Fehldiagnosen. In seinem ersten Lebensjahr war es kaum möglich mit ihm erzieherisch zu arbeiten. Seine Konzentration - war trotz ausreichender Motivation durch Leckerlis - schlecht. Im Freilauf und auf den Gassi-Runde fiel uns immer wieder seine Desorientiertheit und ein Verhalten als müsse er alles immer wieder komplett neu geruchlich sowie bildlich erfassen auf. Wir dachten, er ist ja noch jung und muss das komplette Erfassen von Gerüchen und gewonnen neuen Eindrücken erst lernen. Er erinnerte uns mit diesem Verhalten an ein Kleinkind, daß an einen neuen Ort kommt und erst einmal die neue Umgebung erkunden muss. Wir gingen diese Gassi- und Spaziergehrunden mehrmals täglich und jedes Mal aufs Neue zeigte er dasselbe Verhalten. Uns fiel auf, wenn wir mit ihm Nasenarbeit machen wollten, dass er dabei kläglich versagte. Er konnte kein einziges Leckerli - auch wenn es noch so stark duftete - in der Wohnung erschnüffeln. Mit 4 Jahren fiel uns auf, dass er keine weiteren Strecken (länger als 30 Minuten) am Stück mehr laufen kann. Trotz ausreichend vorhandener Muskulatur schliff er immer wieder kurz seinen Hinterlauf hinterher oder blieb einfach stehen. Längere Spaziergänge als Gassi-Runde waren kaum noch möglich. Wir fragten uns, was wohl der Grund dafür sein könnte. Weiteres dazu, im Kapitel 2.3 Immer wieder Fehldiagnosen. Die Anfälle wurden mehr. Bis Flet ca. 3 Jahre alt war, hatte er bis zu 2 Anfälle pro Monat. Im Alter von 6 Jahren waren es 10 Anfälle pro Monat. Seine Körpertemperatur bereitete immer wieder Probleme. Er fror um einiges schneller als es für Whippets üblich ist, im Winter konnte er seine Körpertemperatur in der Wohnung (normale Raumtemperatur von 22°C) nur mit einem dicken, zweilagigen Fleecemantel halten. Die Temperatursteuerung wird mitunter vom Hypothalamus im Gehirn übernommen.
2.3 Immer wieder Fehldiagnosen
Als 2009 Fletchers erstes Blutbild erstellt wurde, wussten wir noch nicht, welcher Weg der Fehldiagnostik noch vor uns liegen wird. Aufgrund der schlechten Leberwerte wurde uns schnell zu einem Ultraschall der inneren Organe geraten. Es wurden sämtlich erreichbare innere Organe in seinem Bauchraum und Brustkorb geschallt. Alles unauffällig. 2010 hatte Flet seinen ersten Anfall der sich über fast 9 Stunden zog. Wir waren mit den Nerven am Ende und fuhren mit ihm zu einem Tierarzt der Notdienst hatte. Leider hatte dieser Tierarzt nicht viel Ahnung von der Anatomie eines Windhundes und wollte einen männerhandgroßen Tumor in seinem Bauchraum gesehen haben. Eine Nacht mit großer Angst und vielen Tränen folgte. Am nächsten Tag hatten wir einen Termin in unserer örtlichen Tierklinik, zu einem weiteren Ultraschall. Der vermeintliche Tumor im Bauchraum, war eine vergrößerte Milz aufgrund einer Prostataentzündung. Das kommt wohl beim unkastrierten Rüden häufiger vor. Wir sprachen Fletchers Leberwerte an und es folgte ein Gallsäuren-Stimulations-Test um eine Leberfunktionsstörung auszuschließen. Die Gallsäuren waren exorbitant schon im nüchternen Zustand erhöht und nachdem er etwas gegessen hatte jenseits von Gut und Böse. Man riet uns zur Futterumstellung, was wir taten. Ab diesem Zeitpunkt gab es Fleisch und Gemüse, statt Trocken- oder Dosenfutter. Seine Darmproblematik normalisierte sich etwas - die Anfälle blieben sowie die erhöhten Leberwerte. Die Anfälle kamen und gingen, aber die Häufigkeit nahm weiter zu.
Langsam fing er an etwas an Gewicht zu zulegen und baute mehr Muskulatur auf, das schleifen der Hinterläufe blieb, genauso wie seine Unlust zu laufen. 2011 suchten wir eine Tierärztin mit mehr Windhunderfahrung auf. Es folgten Gentests auf Glukosespeicherkrankheiten und Autoimmunkrankheiten. Alles negativ. Er wurde wenige Wochen auf eine angebliche Pankreasinsuffizienz behandelt, auch das brachte keinerlei Erfolg. Diese Tierärztin verweigerte nach fast einem Jahr die weitere Behandlung von Fletcher mit der Begründung, sein Problem wäre rein durch die Ernährung bedingt und er wäre kerngesund. Auch sie kam nicht auf die Idee, einmal richtig hinzuhören, was wir ihr an Symptomatik erzählen. Wir folgen hochkant aus dieser Tierarztpraxis. Regelmäßig wird/wurde sein Blut bis zu diesem Zeitpunkt auf seinen Elektrolyt- und Mineralienhaushalt untersuchen, was keine Auffälligkeiten zeigte. Im Sommer 2013 ließen wir sein Herz in der Uniklinik in München untersuchen. Es wurde ein Herzultraschall gemacht, der leider nicht aussagekräftig war, da Fletcher ein ziemlicher Zappel-Phillip war. Er wurde an ein 24-Stunden EKG angeschlossen und wir wurden nach Hause geschickt. Die Auswertung des EKGs ergab keinen Befund. Es wurde nochmals in unserer ortsansässigen Tierklinik ein Herzultraschall gemacht. Auch dieser ohne Befund. Einerseits waren wir erleichtert, andererseits wussten wir nach nun 5 Jahren Diagnostik immer noch nicht was ihm fehlt. Nach wieder einem heftigen Anfall von Flet, der kaum in den Griff zu bekommen war, suchten wir wieder unsere örtliche Tierklinik auf. Diesmal wurde uns umfassend zugehört und wir bekamen den Auftrag ein Video von Fletchers Anfall zu machen. Gesagt, getan! Es folgte eine Videoanalyse der Tierärztin, die sofort meinte, dass Fletcher definitiv kein Magen-Darm-Problem hat - oder wie bisher von fast allen Tierärzten als Magen-Darm-Kolik abgestempelt - sondern das es etwas neurologisches ist. Wir wurden an eine Tier-Neurologin überwiesen.
2.4 Komplex-fokale Anfälle - wie sich die Anfälle bei unserem Whippet zeigen
Den Moment zu erkennen, indem sich ein Anfall bei Fletcher anbahnt ist schwierig.
Fletcher's Anfälle haben wir in Phasen eingeteilt, um zu verdeutlichen, wie ein Anfall abläuft.
Phase I: Fletcher ist ruhelos, läuft permanent umher, verweigert Nahrung und Wasser.
Phase II: Er bleibt wie angewurzelt stehen und beginnt stark zu blinzeln. Mal nur mit einem Augen, mal mit beiden Augen. In dieser Phase kann er sich nicht vom Fleck bewegen und nimmt seine Menschen schon nicht mehr wahr und reagiert auf keinerlei Ansprache. Es kontrahieren die Oberschenkel- und Oberarmmuskulatur.
Phase III: Er rennt los und schreit. Die Rückenmuskulatur kontrahiert in fingerdicken Wellen (nicht während des Rennen's, sondern sobald er wieder steht).
Phase II und Phase III wiederholen sich meist mehrfach. Im Extremfall bis zu 9 Stunden.
Phase IV: Sobald die Anfälle medikamentös unterbrochen wurden kann er zur Ruhe kommen. Meist braucht er einen gesamten Tag um sich zu erholen.
2.5 Neurologische Ausfälle - der Weg zur Diagnosestellung
Wir stellten uns im August 2014 bei der Neurologin vor, die vorher einen groben Überblick über den Fall von unserer Haustierärztin erhalten hatte.
Trotz des laufenden Klinikbetriebs nahm sie sich anderthalb Stunden Zeit sich den Fall von Fletcher schildern zu lassen, sowie auch bisherige Fehldiagnosen. Wir zeigten Fotos seiner neurologischen Ausfälle sowie das Video seiner Anfälle. Sie hörte uns zu und machte sich ein erstes Bild. Flet wurde anschließend allgemein neurologisch untersucht. Die Untersuchung war unauffällig. Die Neurologin vermutete ein epileptisches Anfallsgeschehen. Im September 2014 wurde ein CT gemacht. Ein Lebershunt konnte ausgeschlossen werden, sowie eine metabolische Problematik.
Eine Epilepsie-Diagnose erfolgt oftmals als Ausschlussdiagnose. Es wurde neben dem CT von Leber, Halswirbelsäule und Kopf noch eine Elektrodiagnostik (Messung der Nervenleitgeschwindigkeit) gemacht. Auch diese war gänzlich unauffällig.
Aufgrund der Unauffälligkeit der Untersuchungen und Fletchers gezeigtem Anfallsbild, war die Diagnose einer komplex-fokalen Epilepsie gestellt.
3. Behandlung
Seit Anfang September 2014 erhält Fletcher 3x täglich Gabapentin. Gabapentin ist ein Medikament aus der Humanmedizin, daß bei fokalen und komplex-fokalen Epilepsien sowie bei Nervenschmerzen wirkt. Seit er Gabapentin erhält ist es zu keinem weiteren Anfall mehr gekommen. Im Rückschluss bestätigt die Wirksamkeit des Medikaments die Diagnosestellung im Ausschlussverfahren. Nachdem Fletcher Gabapentin wenige Wochen erhalten hatte, hat er uns schwer verblüfft. Auf einem Spaziergang fing es überraschend an seine Umgebung zu erschnüffeln und diese Wahrnehmung mit seiner optischen Wahrnehmung abzugleichen. Wir brauchten für ein Wegstück, dass leicht in 5 Minuten zu laufen gewesen wäre, über eine Stunde. Dieser Vorgang wiederholte sich an darauf folgenden Tagen und seitdem kann Fletcher versteckte Leckerlis tatsächlich erschnüffeln.
4. Zusammenfassung
Die komplex-fokale Epilepsie beim Hund ist schwierig für den Besitzer zu erkennen und die Diagnosestellung für den Tierarzt ist auch alles andere als einfach, da sich die symptomatischen Auffälligkeiten mit anderen Krankheitsbildern decken. In Fletchers Krankheitsfall sprach er auf die gegebenen Schmerzmittel oftmals positiv an. Wenn wir ihm Novalgin bei einem Anfall gaben, wurde der Anfall aufgrund der Wirkung von Novalgin (Dämpfung des zentralen Nervensystems) unterbrochen. Die Dämpfung des Nervensystems ist aber nur eine Nebenwirkung von Novalgin, denn grundsätzlich gibt man das Medikament bei sehr starken kolikartigen Schmerzen. Deshalb wurde er auch jahrelang auf vermeintliche Darm-Koliken behandelt. Sozusagen hat das Novalgin durch die Hintertür gewirkt.
Für den Hundebesitzer ist es dennoch nicht unmöglich Indizien für eine partielle Epilepsie zu erkennen. Grundsätzlich sollte man den Hund in seinem Verhalten um das mögliche Anfallsgeschehen herum gut beobachten. Dazu gehört auch ein gewisser Zeitraum vor und nach dem Anfall.
In Folge haben wir einige Fragen zusammengestellt, die einen Verdacht auf diese Epilepsieform erhärten kann. Wenn man auf eine dieser Fragen "ja" antworten kann, lohnt es sich den Hund bezüglich komplex-fokaler Epilepsie genauer zu beobachten. Meistens kann man auf die ein oder andere Frage ebenfalls mit "ja" antworten.
Tritt über das Lebensalter des Tieres eine Häufung der Anfälle auf?
Wirken Medikamente, die der Hund deshalb erhält, überraschend effektiv?
Werden Symptome wie mit einem Schalter dadurch entfernt? So das der Hund sich sehr kurz nach der Medikamentengabe komplett symptomfrei verhält.
Fallen Ihnen auch ohne Anfall Einschränkungen einzelner Sinnesfunktionen auf?
Wie bei unserem Whippet, der sehr schlechte Geruchssinn.
Sind ungewöhnliche Bewegungsmuster zu beobachten?
Wie z. B. bei Ablenkung Überköten der Gliedmaßen, während die Stellreflexprüfung in Ruhe immer sofort vom Hund korrigiert wird.
Zeigt ein relativ junger Hund Verhaltensmuster einer Demenz?
z. B. in einer Ecke des Wohnraumes stehen und nicht mehr wissen, wie man von dort wieder weg kommt.
Braucht der Hund sehr viele Wiederholungen um Dinge zu erlernen bzw. wird die eigentlich bekannte Umgebung immer so wahrgenommen, als wäre der Hund an diesem Ort noch nie zuvor gewesen?
Uns fielen viele Antworten auf oben gestellte Fragen auch relativ schwer, da sie mitunter durch die Landläufig Meinung zum Verhalten von Windhunden eine Erklärung für so manches Verhalten bot. Wir kamen nur durch genaues Beobachten ans Ziel. Da Windhunde reine Sichtjäger sind, hielten wir es bei unserem Whippet nicht für allzu ungewöhnlich, dass er nicht gut riechen konnte.